Auf der linken Seite des Altarbildes von Piero della Francesca können Sie das große Bild Die Vermählung Mariä sehen. Es ist kaum zu glauben, aber dieses Meisterwerk wurde von einem Künstler gemalt, der gerade mal 20 Jahre alt war: Raffaello Sanzio, der größte Maler und Architekt aus den Marken, der zwischen dem 15. und dem 16. Jahrhundert lebte.
Die Szene zeigt den Augenblick, als Joseph den Ehering an den Finger von Maria steckt. Im Hintergrund ist ein großer Tempel und außerdem eine sanfte Hügellandschaft zu sehen. Mit einem Ausdruck von anrührender Schüchternheit hält Maria ihre Hand hin, um den Ehering von Joseph zu empfangen, während der Hohepriester das junge Paar vermählt.
Der Tempel ist noch wichtiger als die Vermählungsszene und spielt die eigentliche Hauptrolle. Wie Sie sehen können, befindet er sich genau in der Mitte eines Raumes in der Perspektive: Die Figuren sind ganz natürlich in einer Serie von Halbkreisen angeordnet, die die Form der Kuppel und des Gemäldes aufgreifen. Ein Geniestreich ist die geöffnete Doppeltür in der Mitte des Gebäudes, wodurch Sie bis zum leuchtend hellen Horizont hinaussehen können.
Mit einer raffinierten Auswahl des Lichts und der Farbharmonien, schwebt über der Szene eine graziöse Anmut, eine Atmosphäre poetischer Melancholie. Keines der Gesichter wirkt gekünstelt, kein Gefühl herrscht über die anderen vor und die Gesten sind alle sehr gesittet. Achten Sie auf die Gruppe von jungen Leuten auf der rechten Seite, die dabei sind, Stöcke zu zerbrechen. Sie fragen sich vielleicht nach dem Grund für dieses seltsame Verhalten. Die Erklärung dafür findet sich einer Geschichte aus einem der sogenannten apokryphen Evangelien, die nicht offiziell von der Kirche anerkannt werden. Es scheint, dass Maria mehrere Verehrer hatte, unter denen sie sich mit jenem vermählt hätte, der durch ein Wunder einen Stock zum Blühen bringen konnte. Wenn Sie das Bild aus der Nähe betrachten, werden Sie feststellen, dass der Stock in den Händen von Joseph oben weiße Blüten trägt, während die anderen Freier enttäuscht ihre nunmehr nutzlosen Hölzer zerbrechen.
Das Gemälde stammt aus der Kirche Sankt Francesco in Città di Castello und ist im Grunde eine Napoleonischen Kriegsbeute: Noch heute versuchen die Einwohner der umbrischen Stadt regelmäßig, das Gemälde zurück zu erhalten!
NEBENBEI: Seltsamerweise steckt Joseph der Jungfrau auf der Vermählung Mariä den Ring an die rechte Hand. Mancher glaubt deshalb, dass Raffaello das Bild vor einem Spiegel gemalt hat