Im Saal der flämischen Malerei des 15. Jahrhunderts befinden Sie sich inmitten der großen Kunst. Unter den vielen Meisterwerken von Jan van Eyck, werde ich von dem Doppelportrait sprechen, das als die Arnolfini-Hochzeit bekannt ist, eines der bekanntesten und am meisten reproduzierten Kunstwerke der Welt: Ein nicht unwesentlicher Aspekt seiner Faszination liegt in dem Geheimnis, das die Figuren umgibt.
Man glaubte, dass es den wohlhabenden Kaufmann Giovanni Arnolfini aus Lucca und seine Gemahlin in der Privatsphäre ihres komfortablen Hauses in Brügge darstellte, aber vor Kurzem wurde die Identität der beiden Hauptfiguren in Frage gestellt und damit auch die der beiden kleineren Figuren, die man im Spiegel wiedergegeben sieht, und tatsächlich befindet sich nun auf dem Beschreibungsschildchen ein vorsichtiges Fragezeichen. Andererseits ist der Künstler, das Datum und die Geschichte des Gemäldes gesichert: Es ist sogar signiert und datiert! Die Signatur ist über dem konvexen Spiegel an der hinteren Wand zu sehen: Das Merkwürdige ist aber, dass sie in Latein geschrieben ist, während van Eyck in anderen Tafeln die alte holländische oder französische Sprache bevorzugte, wie Sie gerade in diesem Saal feststellen können.
Van Eyck rekonstruiert eine unvergessliche Szene. Der Kronleuchter ist das eigentliche Zentrum der Komposition und er imitiert mit erstaunlicher Glaubwürdigkeit die Reflexe der vergoldeten Bronze; die ordentlich verteilten Gegenstände, die Eleganz der Kleidung und die Raffinesse der Gesichtszüge des Paares kommunizieren einen hohen sozialen Status, während der niedliche und wuschelige kleine Hund und die stehen gelassenen Pantoffeln dem Bild eine eher häusliche Atmosphäre verleihen und außerdem auf die Tugend der Treue anspielen, die für eine eheliche Verbindung so außerordentlich wichtig ist. Der Spiegel verdoppelt den Bildraum und kehrt ihn gleichzeitig um, wobei er Dinge und Personen miteinschließt, die praktisch „vor“ den beiden Hauptfiguren stehen: Wenn Sie ganz genau hinsehen, können Sie zwei männliche Figuren sehen: Mit diesem Hilfsmittel gelingt es dem Künstler, auch uns als Betrachter mit einzubeziehen, wodurch wir nicht mehr nur Außenstehende sind, sondern zur Teilnahme aufgerufene „Charaktere“ werden.
NEBENBEI: Die Details auf diesem Gemälde sind von einer fast unglaublichen und scharfsinnigen Feinheit: Wenn Sie durch das Fenster schauen, das von mit Mörtel befestigten Ziegelsteinen umrahmt ist, können sie einen Baum erkennen, auf dem reife, rote Kirschen hängen! Damit lässt uns van Eyck verstehen, dass sich das Schlafzimmer im ersten Stock befindet und sich die Szene im Juni ereignet.