Wie Sie sehen, überwiegen in den ersten Räumen der National Gallery die Gemälde mit goldenem Hintergrund. Und genau von einem solchen werde ich Ihnen jetzt erzählen: Von einem Kleinod, das auf das späte 14. Jahrhundert zurückgeht und jahrhundertelang eines der kostbarsten, in England aufbewahrten Gemälde war.
Es handelt sich um ein raffiniertes Diptychon, also ein Gemälde, das aus zwei Tafeln besteht, die von einem Scharnier zusammengehalten werden. Es wurde für König Richard II. von England ausgeführt, aber noch immer weiß man nicht, ob der Künstler Engländer oder Franzose war: Die Technik des Farbauftrags mit Tempera erinnert an die italienische Kunst, aber der weiße Untergrund aus Gips und die Verwendung einer Tafel aus Eichenholz als Träger sind typische Merkmale der nordischen Kunst. Das Kunstwerk ist nicht viel größer als ein Manuskript und stellt eine feierliche königliche Zeremonie dar: Auf dem linken Flügel sehen Sie den König von England auf den Knien und hinter ihm drei Schutzpatrone der königlichen Familie (König Edmund, Eduard der Bekenner und der Johannes der Täufer), die ihn vor das „himmlische Gericht“ begleiten, das auf dem anderen Flügel gezeigt wird. König Edmund hält einen der Pfeile in der Hand, die ihn im neunten Jahrhundert im Kampf gegen die Dänen tödlich durchbohrt haben; Eduard der Bekenner, an dessen Grab Richard in einer Zeit der Krise zum Gebet kam, zeigt einen Ring: Der Legende nach hat er ihn einem Pilger geschenkt, von dem sich später herausstellte, dass es der Heilige Johannes der Evangelist war. Die Anwesenheit von Johannes dem Täufer hängt hingegen mit dem Geburtsdatum Richards II. zusammen, dem 6. Januar, an dem die Kirche die Taufe Christi feiert.
Auf der rechten Seite des Diptychons sehen Sie das blühende Paradies, ein Symbol der Reinheit Mariens. Die Heilige Jungfrau betrachtet den knienden Spender und das Jesuskind beugt sich vor, als ob es die Gebete des Königs in Empfang nehmen wollte. Ein Engel umklammert die weiße Fahne der Auferstehung mit dem roten Kreuz, die gleichzeitig die Flagge von England ist: Man kann sagen, dass Richard hier eine Art „göttliche Investitur“ erhält.
NEBENBEI: Wenn Sie sich dieses Gemälde ganz genau ansehen, können Sie viele Details auf versteckten Wappen entdecken: Die Engel des himmlischen Gerichts tragen die Insignien des Königs, den weißen Hirsch mit goldenen Hörnern und Halsketten aus Ginster. Auch in den ornamentalen Mustern der Gewänder von Richard können Sie die Ginsterkränze und den Hirsch sehen.