Höchstwahrscheinlich betrachten Sie Guernica inmitten einer großen Menschenmenge: Das Werk scheint Respekt, Stille und Anteilnahme einzufordern. Es weckt starke Emotionen. Und dennoch war das künstlerische Komitee der Ausstellung bei seinem Anblick irritiert, fast enttäuscht! Zunächst einmal deswegen, weil es völlig in „Schwarzweiß“ gemalt war, während man von einem Propagandagemälde zumindest ein paar auffällige rote Spritzer erwartet hätte. Auch die Kosten erregten Kontroversen: Picasso war bereits bekannt dafür, überhöhte Vergütungen zu verlangen, und für Guernica hatte er nur um die Erstattung der Kosten gebeten, und dennoch wurde gesagt, er hätte der Nation das Werk völlig kostenlos überlassen sollen.
Sie fragen sich vielleicht nach dem Warum dieser Wahl von Schwarz und Weiß? Vielleicht wollte der Künstler die Filmsprache seiner Zeit imitieren: Und wenn man darüber nachdenkt, könnte Guernica von der Größe her das Bild einer auf den großen Bildschirm projizierten Wochenschau sein.
Als er es malte, war Picasso 56 Jahre alt. Die Körper und die Merkmale der Gestalten sind auseinandergenommen und „zerlegt“, ganz nach dem Stil des Kubismus, aber die Gesamtheit weist eine monumentale Konsistenz auf, die einem großen Werk der Renaissance würdig ist; das Thema des Krieges und der Gewalt gegenüber den Wehrlosen ist eng mit Goya verbunden, dem spanischen Genie, der im 18. und 19. Jahrhundert lebte, und mit seinen Capricci, die sich auf die menschliche Brutalität konzentrieren.
Nachdem das Gemälde als Ganzes betrachtet haben, versuchen Sie es von links nach rechts zu „lesen“. Der Stier oben links ist ein Symbol für Brutalität, aber auch für unerschütterlichen Widerstand und natürlich erinnert er an die Stierkämpfe, die Picasso liebte; in der Nähe des Stiers ist eine Frau, die verzweifelt den Schmerz über den toten Sohn in ihren Armen herausschreit. Auf dem Boden erkennt man die Leiche eines Kriegers, der ein zerbrochenes Schwert und eine Blume umklammert: eine anachronistische Waffe und ein kleines Zeichen der Hoffnung. Es sind universelle, zeitlose Symbole. Rechts oben sehen Sie eine entsetzte Frau, die vergeblich um Hilfe ruft, während ihr Haus in Flammen steht. In der Mitte erhebt ein durchbohrtes Pferd seine Schnauze und wiehert; oben sieht man eine stilisierte Glühbirne, die wie eine Karikatur des Auges Gott aussieht und der die beiden Frauen auf dem rechten Seite wie im Gebet zugewandt scheinen.
NEBENBEI: Als im Jahr 1940 die Deutschen Frankreich besetzten, wurde Picassos Atelier in Paris durchsucht. Ein Offizier fand einige Reproduktionen von Guernica und fragte den Maler: „Haben Sie das gemacht?“, und Picasso antwortete schlagfertig: „Nein, das habt ihr gemacht!“.