Um dieses Werk mit dem Titel „Der Zirkus“ in vollem Umfang zu würdigen, müssen Sie zunächst seinen Autor kennen lernen.
Erwähnenswert ist, dass Seurat eine echte Revolution in der Kunstwelt ausgelöst hat, indem er den Neoimpressionismus oder wissenschaftlichen Impressionismus ins Leben rief, der sich auf Studien wie die des Chemikers Michel-Eugène Chevreul im Bereich der Farbenlehre stützt. Auf der Grundlage seiner Entdeckungen schuf der Künstler die heute als Pointillismus oder Divisionismus bekannte Maltechnik, bei der reine Farben auf der Leinwand nebeneinander aufgebracht werden, ohne sie zu mischen, sondern in Form von winzigen Punkten oder Strichen, die das Auge des Betrachters dann neu zusammensetzt und vermischt, um andere Farben als die tatsächlich aufgetragenen zu schaffen. Ein weiterer Gelehrter, der Seurats Technik beeinflusste, war Charles Henry, der die Ansicht vertrat, dass Linien und Farben eng mit den Emotionen verbunden sind, die beim Betrachter ausgelöst werden: So vermitteln aufsteigende Linien Freude, absteigende Traurigkeit, warme Farben Dynamik, kalte Trägheit.
Wenn man sich das Gemälde anschaut, kann man die von mir erwähnten Elemente erkennen, vor allem den Pointillismus. Sehen Sie zum Beispiel, wie die Konturen der Figuren durch die Verdickung der blauen Punkte, die alles umreißen und die auch für den Rahmen des Bildes verwendet wurden, entstehen. Diese dunkle Farbe steht in starkem Kontrast zu den bunten Farben der Leinwand und unterstreicht die warmen Töne, die eine fröhliche Stimmung vermitteln.
Man beachte die Aufteilung der Szene in zwei unterschiedliche Bereiche: Die Manege mit vielen aufsteigenden Elementen wie den Armen des Akrobaten auf dem Pferd oder den Haaren des Clowns, um die Szene dynamisch zu gestalten, und die Tribüne, auf der vertikale und horizontale Linien vorherrschen, um den statischen Charakter des Publikums zu betonen.
Man bedenke, dass „Der Zirkus“ zusammen mit zwei anderen Gemälden, „Die Zirkusparade“ und „Le Chahut“, zu einer Reihe von Gemälden von Seurat gehört, die den damals in Paris beliebten Vergnügungen gewidmet sind. Wenn man sich jedoch das linke obere Band dieses Werks genau ansieht, erkennt man, dass es keine idyllische Welt darstellt, sondern die reale Welt, die auch aus der Spaltung zwischen den sozialen Klassen besteht. Auf den Tribünen, die am weitesten von der Manege entfernt waren, saßen die weniger Wohlhabenden, die sich die teuersten Karten nicht leisten konnten.
Ich verabschiede mich mit folgender Kuriosität von Ihnen: So schön es auch ist, blieb dieses Werk leider unvollendet, denn Seurat starb plötzlich im Alter von nur 31 Jahren, wahrscheinlich an Diphtherie, und wenige Tage später folgte ihm sein Sohn.